»die ideenfindung ist ein mythos«

sophie degenfeld für horizont, 2013 

sophie degenfeld: sie wurden mit rund 280 nationalen und internationalen auszeichnungen geehrt. was bedeuten solche preise für sie persönlich?  

andreas uebele: die anerkennung von kollegen ist eine gute messlatte und es gibt fast keine billigere werbung. 

haben sie die diskussion der letzten monate um die kreativwettbewerbe mitverfolgt? 

ja, sie ist notwendig und überfällig. viele preisverfahren sind zu einem selbstbedienungsladen verkommen. es werden immer mehr schlechte arbeiten ausgezeichnet, weil es geld bringt. der wert einer auszeichnung wird dadurch geschmälert. 

einige große agenturen, vor allem aus der werbebranche, hatten ja ihren rückzug aus den wettbewerben verkündet, zugunsten der nachwuchsförderung. gab es beziehungsweise gibt es auch solche überlegungen in der designbranche? 

ja, nachdem wir über 300 preise gewonnen haben, werden wir dieses jahr nichts einreichen und danach überlegen, an welchen wettbewerben wir teilnehmen. mit dieser überlegung stehen wir nicht allein. 

vielleicht sollte es wie bei scholz&friends berlin heißen »liebe friends, keine preise gewinnen könnt ihr auch bei uns« aber dafür lernt ihr euer handwerk richtig?  

diese aussage verstehe ich nicht. das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. besonders den werbeagenturen stände ein wenig bescheidenheit gut an. sie haben durch »scheinarbeiten«, also arbeiten, die nur für wettbewerbe konzipiert wurden, die verfahren korrumpiert. 

sie selbst haben eine professur an der fachhochschule in düsseldorf inne. welches potenzial erkennen sie dort?  

potenzial gibt es überall, an jedem ort, zu jeder zeit. 

sie meinten einmal »mit 10 prozent der studierenden kann man arbeiten.  

die sind richtig engagiert. den rest kann man aber vergessen.« hat diese aussage immer noch gültigkeit? oder hat sich das stark gewandelt – und warum?  

daran hat sich nichts geändert. 

was muss ein designer denn schlussendlich wirklich können? und muss ein designern sich an marken und großen trends orientieren? 

ein designer muss ein wenig begabung haben und sehr fleißg sein.  

er muss pünktlich liefern, zuverlässig sein und gut zuhören können.  

er muss die wünsche des auftraggebers verstehen, das heißt nicht, dass  

er das tut, was man von ihm will, sondern dass er das tut, was er denkt, was der kunde meint oder für diesen das richtige ist. das fordert auch, dass er manchmal nein sagen muss. darüberhinaus sollte er haltung zeigen. 

sie selbst waren ja bereits 34 als sie von der architektur zu grafikdesign wechselten - was waren ihre persönlichen learning steps während ihrer ausbildung? 

learning by doing und lesen. als grafikdesigner bin ich autodidakt. ich habe vor allem bücher gelesen und jede noch so kleine arbeit angenommen.  

wer war prägend? wer war ein vorbild? und gab es auch jemanden, der sie, ihre arbeiten, ihre ideen so getriezt hat, dass sie dachten »jetzt schmeiß ich alles hin?« 

persönliche vorbilder waren die architekten günter behnsich, bei dem ich fünf jahre arbeitete und michael held, der mich an der universität stuttgart im architekturstudium betreute. er wurde mein freund und mentor. vorbilder, die ich nicht persönlich getroffen habe sind paul rand, otl aicher und anton stankowski. hinschmeißen kann ich mir nicht leisten. 

wie entstehen ihre arbeiten? beginnt qualität tatsächlich mit q wie qual? gilt es dabei an persönliche grenzen zu gehen? 

es ist keine qual, manchmal vielleicht ein mühsamer prozess, das ist aber nicht schlimm. schlimm sind unfaire verfahren und wettbewerbe ohne bezahlung und fachjuroren und die geringe wertschätzung, die unser berufsstand erfährt. die arbeiten entstehen bei uns im büro in einem dialog. wir setzen uns zusammen, reden und skizzieren von hand dinge auf, die langsam zu einem entwurf reifen durch ständiges in frage stellen, überarbeiten und verbessern anhand der geforderten – von uns oder dem auftraggeber – formulierten ansprüche: zeit, kosten, ort, angemessenheit, schönheit, praktikabilität, funktionalität, dauerhaftigkeit, neuartigkeit, und so weiter. 

oder auch an die grenzen des briefings, wie etwa bei der gestaltung des bundestagsadlers? wie lief dies damals ab? 

das ist eine lange geschichte. kurz: wir haben ein großes risko in kauf genommen, weil wir den bundestagsadler überarbeitet haben, weil es uns als die einzig richtige und vernünftige lösung erschien, obwohl eine überarbeitung aus urheberrechtlichen gründen untersagt war. 

apropos, für all jene die im mai 2012 nicht beim symposium »schrift / macht / welten. typografie und macht.« dabei waren, kann denn nun tatsächlich die wahl einer bestimmten schrift weltanschauliche implikationen beinhalten? 

ja, ich denke schon. die wahl einer schrift verrät viel über den gestalter. die form ist immer nur die äußere sichtbare gestalt des inneren. eine form zeigt eine geisteshaltung. für die wahl einer schrift gilt das auch. natürlich ist das schwierig, denn genauso hat daniel barenboim schwierigkeiten, wenn er durchsetzt, dass man in isreal wagner aufführt. die frage ist: wie weit ist eine form an den geist des entwerfers gebunden? kann man sie losgelöst betrachten? selbst wenn man diese frage so beantwortet, dass man sie löst vom entwerfer, wäre es eine komische wahl, wenn man z.b. die gill für ein kinderhaus wählt, wenn man weiß, dass eric gill päderast war. in der musik ist wagner eine größe, gill in der typografie. jedoch kann ich auch für irgendeine anwendung gill nehmen, und in der anwendung kinderhaus auf sie verzichten. massimo vignelli besuchte uns vor zwei jahren im büro und meinte, dass die schrift melior von herman zapf für das corporate design für den deutschen bundestag eine gelungene wahl wäre, weil zapf deutscher ist. tatsächlich hatten wir bei der arbeit daran gar nicht gedacht. im nachhinein denke ich, dass dies durchaus ein bedenkesnwerter aspekt ist. vielleicht haben wir auch als »deutsche designer« unterbewusst eine deutsche schrift ausgewählt. denn wir haben diese type nach formalen aspekten gewählt. obwohl unter diesen aspekten auch eine »schweizer« schrift in frage gekommen wäre, weil der – für die bildmarke passende – konstruktive charakter der schrift eher in deutschland und in der schweiz im schriftentwurf zu finden ist wie zum beispiel in holland oder in frankreich.  

und können bestimmte schriftsysteme und logotypes als manifestationen von macht begriffen werden? 

ja. in dem sinne, dass es entwürfe gibt, denen man ansieht, dass sie eine geradlinige umsetzung des briefings sind, also eine machtdemonstration des auftraggbers und eine willfährige umsetzung des auftragnehmers. beim deutschen bundestags haben wir versucht, die zeichnung des adlers in verbindung mit der wortmarke hoheitlich erscheinen zu lassen ohne dass sie von »oben herab« wirkt. deshalb musste die schrift eine ausgewogene verbindliche und weiche balance zu dem sehr starken adler sein, der in seiner strichführung souverän aber nicht martialisch wirkt. 

wo sehen sie eigentlich parallelen zwischen rhetorik und design? wie gehen gestalter mit worten um? 

gestaltung ist eine visuelle disziplin, die ohne denken nicht möglich ist. die sprache, das reden oder schreiben über design reflektiert die eigene arbeit und befruchtet diese. die sprache hilft beim entwurf. was sich nicht gut erklären lässt, taugt nicht als entwurf. wir entwickeln die entwürfe über das reden, die sprachliche materialsierung einer aufgabe. worte sind eine orientierungshilfe.  

»wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen« (ludwig wittgenstein) 

warum eigentlich die benennung kommunikations-designer? wie zeigt sich die komponente der kommunikation? 

von der werbegrafik zur gebrauchsgrafik zum grafikdesign und kommunikationsdesign. der beruf ist sehr jung, die wechselnden bezeichungen spiegeln einen reifeprozess. tatsächlich gestalten wir die kommunikation zwischen unternehmen und kunden, zwischen sender und empfänger. 

wie viel kreativität steht wirklich hinter den (design-)arbeiten die von kunden angenommen werden? bei wie vielen aufträgen, prozentuell gesehen, funktioniert es die kreative idee zu verkaufen oder geht sie letztendlich verloren beziehungsweise verschwindet sie in der senke? 

das hängt von den gestaltern ab. eine starke idee oder konzeption überzeugt die meisten kunden. diese »idee« ist wie ein leitstern, von dem man sich leiten lassen kann durch alle schwierige phasen des entwurfs. wenn man diese konzeption, diese idee versprachlichen kann, fällt das »verkaufen« leicht. 

oder gibt es gar größere herausforderungen als die idee zu verkaufen? zum beispiel die ideenfindung? 

die ideenfindung ist ein mythos. »höhere wesen befahlen: rechte obere ecke schwarz malen!« (sigmar polke). es gibt keine idee. es gibt nur den prozess, der eine lösung – nach sachlichen, vernünftigen und ästhetischen überlegungen – zu tage fördert. sie ist das ergebnis harter arbeit, die in einem dialog zwischen auftraggeber und auftragnehmer möglich ist. 

das motto des diesjährigen »creative day« in salzburg ist »obsession design. now!« könnte man dieses auf die entwicklung des gesamten design-feldes übertragen? 

wo diese doch in den letzten jahren eine enorme aufwertung erfahren hat. die obsession, also das besetztsein von design, ist eine grundvorraussetzung für einen gestalter. wenn man nicht alles in seinem leben gestalten möchte, hat man den falschen beruf. wenn man sich nicht für die form seines autos oder fahrrades interessiert ist man eine fehlbesetzung. wenn man nichts liest, die literatur nicht schätzt oder das schöne kleid, – wie will man dann selbst eine schöne sache entwerfen, die nicht bestand hat? wenn man sich nicht für ein schönes und funktionerendes gerät interessiert, sei es ein schreibgerät oder eine geige, wie will man dann selbst ein schönes produkt entwerfen, das dem benutzer erfreut, weil es funktioniert und schön ist? 

wie obsessiv muss man eigentlich als designer sein? 

man muss den anspruch haben, alles schön machen zu wollen. man sollte den anspruch haben, dies mit einer ethischen haltung zu verbinden, dass die arbeit eine verbesserung der umstände darstellt, ganz so wie es adolf loos formulierte: »eine veränderung, die keine verbesserung ist, ist eine verschlechterung.« 

eine letzte frage noch: was ist ihr persönlicher anspruch? wie prägen sie die welt durch ihre gestaltungen? 

es ist ein naiver, weltverbesserischer gedanke: es macht spaß, der welt etwas schönes beizusteuern. es gibt genug schlechtes, verqueres, dummes. wir können kleine dinge verändern, in sehr begrenztem rahmen etwas tun, das anderen freude bereitet. das, was man kann, ordentlich tun. 

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