beeinflusst design die gesellschaft?

stephanie passul, 2014 

stephanie passul: sie haben einmal gesagt »gestaltung ist die möglichkeit, die welt zu gestalten. gestaltung rührt an das innere des menschen. wir sind umgeben von dingen, die von menschenhand geschaffen sind. brille, auto, haus, kleid, tasse, messer, stuhl und stift sind werkzeuge, die unser menschsein erweitern oder uns erst befähigen, mensch zu sein. durch eine geige können wir unsere persönlichkeit zum ausdruck bringen. diese gerätschaften sind kulturelle dinge, die wie eine prothese unser innerstes erweitern zu einem würdevollen, erfüllten menschsein. die schrift und das grafikdesign ist ein weiterer baustein der menschlichen kultur. die dinge haben eine seele, da in ihre gestalt das hineingelegt wird, was wir sind oder sein wollen. den dingen sollte deshalb eine hohe aufmerksamkeit und wertschätzung entgegengebracht werden.«  

 

wie halten sie es mit den dingen, die sie umgeben, welche voraussetzungen müssen diese erfüllen? welches verhältnis haben sie zu ihnen? 

andreas uebele: ich glaube nicht, dass man gestalter sein kann ohne davon in einem totalen sinne besessen zu sein.  

von der gestaltung der umgebung? 

von allem. das meine ich mit diesem »total-begriff«. das fängt bei mir bei kleidern an. zum beispiel hier mit dem aschenbecher von achille castiglioni, oder mit dieser leuchte von de lucchi, das ist ein stuhl von arne jacobsen auf dem sie sitzen, das ist der kunststoffstuhl, ich weiß gar nicht, von wem der ist, peinlich. das ist dieser holztischbock von achille castiglioni, das ist die luminator von achille castiglioni.draußen hängt die brera von castiglioni, der kleiderständer ist von ... weiß ich nicht, einem italienischen designerpaar (donato d'urbino, paolo lomazzi und gionatan de pas, die redaktion). das ist dieser angenehm in der hand liegende spitzer, das ist dieser wunderbare, schwere, gut funktionierende, japanischer tesafilmroller, den es bei manufactum mal vor zehn jahren gab. und jetzt gott sei dank wieder. das ist der braun taschenrechner, das sind diese stifte-köcher von zeischegg, das sind die edding-filzer, das sind diese vielen bilder hier. 

aber suchen sie die objekte aus, weil es designobjekte sind oder weil sie praktisch sind? 

nein. ganz anders. ich brauche einen aschenbecher und dann such mir einen schönen aus. dann gibt es den von castiglioni. ein wunderbarer, auch funktionaler aschenbecher. man kann die zigarette da reinlegen, dann klemmt sie durch diese spirale fest. die spirale kann man rausnehmen und dann kann man den aschenbecher in die spülmaschine legen. zum beispiel: tesafilmroller, da gibt es nur schrott! entsetzlichen müll! da gibt es so »designer tesafilmroller«, die sind dann verchromt und sehen furchtbar aus, ein gynäkologisches design. der hier ist funktional, hier heben sie den doch mal hoch, das ist ein totschläger, also zur not auch als waffe brauchbar und der sieht gut aus auf dem tisch. der steht fest, der funktioniert. und so muss alles schön sein, aber funktionieren. dieser tischbock ist wunderbar, der ist teuer, also der tisch kostete 3000 dm, aber den habe ich jetzt seit zehn, fünfzehn jahren. und so sind halt die dinge wichtig. ich lese viel, bücher sind immanent wichtig, das ist eigentlich nach dem arbeiten das wichtigste und mich interessiert alles, auch musik, literatur, kunst. und das ist ja alles, das wir eben die dinge gestalten, unsere umwelt gestalten. wie sitzt man hier in diesem raum, diese farben hier. lauter solche dinge eben, die wichtig sind. die türbeschläge sind von jasper morrison. und alles ist dann ein schönes umfeld, wo ich mich behaglich fühle und das sind dinge, da kann ich mich jeden tag dran freuen. das ist schön. das macht spaß. 

 

wie sollte ich designer sein, wenn da all dieser sperrmüll ist ... es gibt so viele designerkollegen, bei deren einrichtung denkst du »um gottes willen, wie sieht es bei denen aus!« dramatisch, wie manche im sperrmüll hausen. furchtbar. das find ich unglaublich. ich glaube nicht, dass die sich für design interessieren. auch wenn die auf eine art und weise vordergründig gutes und erfolgreiches design machen, glaub ich nicht, dass das von denen eine herzensangelegenheit ist oder dass sie sich wirklich in der tiefe dafür interessieren, sondern nur an einer oberflächlichen schicht. das geht ja tiefer. 

glauben sie denn, dass man schlechter gestaltet, wenn man nicht auf diese details achtet? 

das kann ich wahrscheinlich gar nicht beantworten. ich sag jetzt mal als streithansel: ja. polemisch: ja. ich denke, je weiter man über seinen tellerrand hinausschaut, über den des grafikdesigns, desto weiter wird dein blick, desto offener bist du. und wenn das im grafikdesign aufhört und man sich dann sperrmüllmöbel holt, zehn verschiedene lepperige drehstühle, obwohl man sich andere leisten könnte ... das immer vorausgesetzt. wobei das geld gar keine rolle spielt. man kann es sich auch ohne geld schön machen. ich hatte immer studentenwohnungen, in denen alle kommilitonen gesagt haben: »mensch bei dir sieht's schön aus.« ich bin damals zum breuninger gegangen und habe mir restteppichstücke geholt. ich brauchte damals 30 qm. der restposten war altrosa. gott, was für eine farbe! der sah saugut aus, dieser altrosafarbene teppichboden. ich hatte so einen boden wie der hier, da waren die fugen sehr breit, da musste man teppichboden reinlegen. die wände habe ich dann goldfarben gestrichen zu diesem altrosa teppichboden, total schräg. ich hatte einen alten zahnarztschreibtisch von meinem vater, den ich mir aufgearbeitet habe und ich hatte auch sperrmüllstühle, aber schöne. das ist ja dreißig jahre her, da hat man zum teil noch schöne sachen auf dem sperrmüll gefunden. heute hat man andere billige möglichkeiten. damals habe ich irgend so ein schränkchen gefunden, das hab ich dann schön angemalt. ja, ich glaub schon, die offenheit macht es aus und das interesse an anderen dingen. und ich glaube auch, dass sich dann die gestaltung verändert. sie wird komplexer, reicher. 

alles was sie jetzt aufgezählt haben sind dinge die produktgestalter machen oder modedesigner und künstler. die kultursoziologie bestätigt auch genau für diese sparten, also das produkt- und modedesign, eine relevanz, weil das eben dinge sind, die wir täglich benutzen und die dadurch auch unseren alltag und unser verhalten prägen. wie sieht es mit dem grafikdesign aus? beeinflusst die schrift in einem magazin unser leben genauso, wie der aschenbecher den wir uns aussuchen? 

ja, aber in einem viel eingeschränkteren maße. da hat unser beruf nicht die bedeutung, außer in gewissen dingen. zum beispiel beim lesen. ich lese viel und habe eine fachbibliothek mit 2000 büchern und eine belletristik-bibliothek mit 4000 büchern. ich lese jeden abend. und da beeinflusst das design: ob die type halt gut lesbar ist. jetzt hab ich wieder ein buch mit zu kleiner schrift gehabt. zu kleine schrift bei büchern, das nervt. dünndruckausgaben sind schön, aber das ist nervig, weil die schrift dann durchschlägt, das ermüdet. auch wenn es dann eine type ist, die schlecht lesbar ist. das ist mir völlig egal, das kann bembo sein oder irgendeine serifenschrift, das ist mir egal. ich will einfach nur, dass die schrift groß genug ist und das der zeilenabstand gut ist. ganz andere kriterien, die ich sonst als designer veranschlagen würde. also, dass das papier ordentlich ist, dass das buch ein bändchen hat. jetzt hab ich wieder ein buch, das hat kein bändchen, da muss man einen zettel reinlegen, das ist doch doof. solche details finde ich wichtig. dann beim orientierungssystem, alles, was sich im öffentlichen raum befindet, beschilderung, orientierungssystem, fährpläne, automaten. das sollte ordentlich und schön gestaltet sein. das ist doch für alle eine freude oder auch angenehm, wenn es funktioniert. da beeinflusst das grafikdesign schon unser leben. 

sie nennen als ihr vorbild ja stets otl aicher, der den anspruch hatte deutschlands kultur und gesellschaft nach dem zweiten weltkrieg neu zu gestalten. was halten sie von diesem ansatz? 

im prinzip richtig. erst mal muss man die geschichte von otl aicher sehen, seine erfahrung mit dem zweiten weltkrieg. diese geschichte kennt man ja von otl aicher und seine freundschaft zu den geschwistern scholl von der weißen rose. er hat ja zunächst für die volkshochschule ulm die plakate gemacht und in diesem programm war ja dieses aufklärerische tun sehr wichtig. ich glaube schon, dass auch heute noch in den dingen, wie in diesem zitat, das ich da geschrieben hab, eine seele wohnt. dass man einem produkt ansieht, ob der designer gut bezahlt wurde, ob das briefing ordentlich war, ob die leute nicht ausgebeutet worden sind, ob die mitarbeiter gut bezahlt wurden. das sieht man guten produkten an. ich glaube, dass das in den produkten steckt. und in dem ganzen billigschrott ... also insofern und da sind wir wieder beim produktdesign, da hat das alles schon eine soziale komponente. das ist ja normal, dass man hinterfragt wie etwas produziert wird. das man sieht auch an dem grafikdesign, ob der berliner hungerleider ausgebeutet worden ist und für das plakat nur 500€ bekommen hat. dann ist das plakat vielleicht trotzdem gut, aber irgendwann wird es den nicht mehr geben, weil er davon nicht mehr leben kann. dann macht er andere sachen, weil er überleben muss. egal was du machst, ob du mediziner bist, eine bar betreibst oder dinge produzierst oder entwirfst, wie wir zum beispiel. ich glaube, dass sich dieser ganze menschliche prozess und austausch in den dingen niederschlägt. die dinge können auch körperlos sein, das kann ja auch ein musikstück sein, das ist ja körperlos, das gibt es nur auf dem papier oder als datei, aber trotzdem steckt da auch immer eine botschaft drin. wie leute denken, wie sie fühlen. 

also im grunde ist die gestaltung, die wir machen, immer von unserer lebenssituation beeinflusst? 

das ist mir ein bisschen zu einfach. wir können das ja steuern. wenn die bezahlung schlecht ist, können wir nein sagen. auch wenn uns das wasser bis zum hals steht. diese erfahrung habe ich selber gemacht. mir stand auch das wasser bis zum hals, ich habe gut bezahlte aufträge abgelehnt. am anfang meiner karriere, als ich ein no name war, als ich gerade fertig mit meinem architekturstudium war und mir überlegt habe, lieber grafikdesign zu machen und niemanden kannte, keine aufträge hatte. man muss nein sagen können. man muss auch zu schlechten aufträgen und bedingungen nein sagen können. das mache ich bis heute. 

heute ist es doch auch eine andere situation. 

nein. ich habe zehn mitarbeiter, ich muss jeden monat die löhne und gehälter zahlen, das ist dann halt nicht immer da und da muss man reagieren. ich glaube, das hat damit gar nichts zu tun, ob du dir das, wie man so schön sagt »leisten kannst«. ich glaube man kann es sich immer leisten, man muss es sich leisten wollen. man muss etwas investieren und das ist dann unter umständen auch bitter oder teuer. aber dadurch tragen wir dazu bei, um das jetzt mal ganz polemisch und pathetisch zu formulieren, dass die welt besser wird. außerdem hab ich, als ich ganz klein war am anfang, aufträge dadurch gekriegt, dass leute zu mir gekommen sind und gesagt haben: »sie waren der einzige, der mir widersprochen hat.« 

und alle haben im endeffekt was davon? 

ja, ich glaube schon. auch das gute plakat, dass ein philippe apeloig macht, das dann irgendwo hängt und eine ausstellung bewirbt. das ist doch schön, wenn das gut aussieht und die leute sich daran freuen. da ist auch einer gut bezahlt worden und das geld, dass er daran verdient, das versteuert er, das kommt ihnen wieder zugute, weil sie studentin sind und ihr studium ja letztendlich über steuern finanziert wird. das ist dieser wohlfahrtsstaat, den wir haben und den ich auch richtig finde. wenn der philippe apeloig das geld versteuert und von dem geld, was übrig bleibt, etwas für einen guten tisch ausgibt, kann diese firma dann wieder einen möbeldesigner anstellen und ordentlich bezahlen. weil philippe apeloig oder ich, uns diesen tisch leisten können. das ist ein essenzieller kreislauf. dass alles billig sein muss, ist eine lüge. das ist der tod unserer gesellschaft. 

also kann man im grunde sagen, gute gestaltung ist auch wichtig für die gesellschaft? 

absolut! ja, und zwar bis rein ins wirtschaftliche denken, da vor allem. es gab mal ein treffen des wirtschaftsministeriums mit den designern deutschlandweit. da wurden zahlen veröffentlicht und diese sind von 2008. schätzen sie mal was die creative industries, dieses blöde neue schlagwort, umsatz gemacht hat im jahr 2008. dazu gehören grafikdesign, game design, produktdesign, modedesign. keine werbeagenturen. es sind zwölf milliarden. da war ich auch überrascht, das hätte ich nie gedacht. ich dachte 500 millionen, 600 millionen, wenn es viel ist, 800 millionen. zwölf milliarden. 50% ist game design und 45% ist grafikdesign. so, der rest diese 5% die da übrig bleiben, ist 4% produktdesign und der rest ist modedesign. interessant. produktdesign und das zeitmagazin. wenn es ein design special gibt, dann immer nur uhren oder möbeldesign. die machen überhaupt keinen umsatz. die sind nicht relevant. du kannst in den laden gehen und das kaufen. klar, das ist was anderes, aber ich spreche ja vom wirtschaftsfaktor. wirtschaftsfaktor sind wir. und diese 5 milliarden oder 6 milliarden, die wir umsatz machen, das sind zu 90% büros mit ein oder zwei mitarbeitern. wir haben keinen rettungsschirm, der sich aufspannt, wenn irgendwelche leute milliarden verzocken. wir sind selbstständige inhabergeführte büros. wir tun was für die gesellschaft. wir haben alle sozialversicherungsverträgliche arbeitsplätze und ja, wir tun was für die gesellschaft. das sind ja arbeitsplätze. sechs milliarden. toll. so, dass muss man auch mal sehen. 

ist design denn kultur? oder tragen grafikdesigner oder allgemein gestalter eine kulturelle verantwortung mit dem, was sie tun? 

auf jeden fall. ganz klar. sobald wir das fleisch nicht roh reißen und ein kaninchen nicht roh essen, sondern das über dem feuer am spieß braten ist das ja ein kultivierter akt. und diesen akt können wir immer mehr zivilisieren und kultivieren, bis man sagt, man möchte ein schönes besteck. das ist dann die spitze. das ist alles kultur. das nächste ist, dass wir eine menükarte machen, um da jetzt ein bisschen grafik rein zu bringen. wenn man gäste einlädt, dass man alles schön macht. schön machen oder gut machen ist kultur. da ist unser beruf ein ganz wesentlicher anteil. es vergeht doch kein tag, an dem wir nicht mit schrift konfrontiert sind. unsere uhren haben ein ziffernblatt, das klingelschild, die hausnummer, das straßenschild, die benutzeroberfläche des computers oder des handys. wir lesen die tageszeitung, gehen zur u-bahn, da lesen wir die digitalanzeigen, in der u-bahn überall schrift. ständig sind wir von schrift umgeben, das ist eine irrsinnige kultur.  

das wird ja kaum wahrgenommen. für leute, die sich dem nicht bewusst sind, ist es ja unsichtbar. 

doch das wird wahrgenommen. zum beispiel in der werbung. aber es wird nicht wertgeschätzt. und das ist ein großer unterschied. darunter leide ich persönlich, dass unser berufsstand nicht die wertschätzung erfährt, die er eigentlich verdient. wir leisten viel mehr für kulturelle wertschöpfung als ein banker. oder ein unternehmensberater. die verdienen 700€ bis 1000€ in der stunde. die kommen frisch von der uni und beraten dann unternehmen nach schema f. vor zehn jahren war es outsourcing, jetzt alles wieder zurückholen, kernkompetenz, dieses ganze geschwätz. die bestimmen die wirtschaft. die machen auch alles kaputt. insofern machen wir viel mehr kultur. interessant ist, dass die »kultur«, die anerkannte kultur, museen oder zum beispiel literaturfestivals, überhaupt nichts für grafikdesign überhaben und die grafikdesigner wahnsinnig schlecht bezahlen. museen sind absolute ausbeuter, deswegen mache ich nichts für kultur und deswegen wollte ich auch nie kultur machen. das wollen alle, für das museum den katalog machen und die kampagne und das plakat. und das wird so schlecht bezahlt! das machen auch viele agenturen umsonst, damit sie sich damit schmücken können. das ist ganz übel, die drücken dann die guten kleinen raus, weil die natürlich geld brauchen. reiner verdrängungswettbewerb. also die »kultur« unterstützt nicht die kultur, nach der sie gerade gefragt haben. meine kunden, das ist ja wirtschaft. banken, versicherungen, messen. die finden das toll oder auch kleinunternehmer, die das gut finden. 

was bedeutet design für sie? 

das ist das was mich begeistert, was mich interessiert, was ich lebe. ich lebe design. in allen phasen. ich zeige es mal am beispiel: bis zum feuerzeug. sie kennen die schlechten feuerzeuge und die bic feuerzeuge. das hier ist ein bic feuerzeug. 

also ist gestaltung im grunde kein beruf, sondern eine grundhaltung? 

ich finde schon. bei mir ist gestaltung auch die möglichkeit, damit meinen lebensunterhalt zu verdienen. 

sie haben ja gesagt, wie wichtig schönheit ist. ist denn schönheit oder form wichtiger als inhalt? 

die form ist letztendlich ein ausdruck des inhalts. dieser aschenbecher hat ja eine funktion, asche aufnehmen. deswegen ist er wie eine schüssel geformt, genau wie dieses weinglas. beides sind gefäße. und diese gefäße kann man jetzt ganz unterschiedlich gestalten. man kann einen klumpen knete nehmen und den so zusammendrücken, bis ein loch entsteht, da könnte man zur not auch wein draus trinken, aber der würde zur seite rauslaufen, aber als aschenbecher würde der wahrscheinlich gut funktionieren. irgendwann kommt dieser ästhetische formwille dazu, dass man dieser funktion auch eine perfekte form geben will. zum beispiel bei diesem riesling glas von riedel. dieses glas hat diese tulpenform und ist am oberern rand nach außen gewölbt. diese form legt sich gut auf die lippen. alle anderen gläser sind nach innen gewölbt. aber die tulpenform ist eigentlich richtig, denn dadurch erhält der inhalt eine gewisse geschwindigkeit, wenn er über die kante fließt, und wird in die bereiche der mundhöhle katapultiert, wo die meisten geschmacksknospen sitzen. die form und der inhalt gehen immer zusammen. zwangsläufig. untrennbar. das kodak carousel von gugelot zum beispiel. da ist das besondere, dass die dias dort hineinfallen, anstatt geschoben zu werden. früher wurden die dias immer geschoben und haben sich im projektor verhakt, weil sie so schmal sind. bei diesem kodak carousel gibt es einen schacht, da fällt das dia rein. so passen da achtzig statt fünfzig dias hinein und man kann den projektor unendlich laufen lassen. das ist nur funktion, gedachte form und plötzlich sieht dieses produkt gut aus. und so ist es bei allem. übrigens im automobildesign gibt es andere probleme. unser body mass index wird ja immer größer, das sieht man an oldtimern, wenn reiche männer in meinem alter sich oldtimer leisten, sieht das immer total schlecht aus. die windschutzscheibe geht denen bis zur nase. diese autos haben eine niedrigere gürtellinie, die haben wenig blech an der seite, glatte formen, das sieht immer gut aus. heute haben die autos aufprallschutz. mein lieblingsdesigner für autos, pininfarina, hat mal gesagt, dass diese flächen schlecht aussehen, wenn sie zu groß werden. das ist ein rein formales problem, das hat nichts mehr mit inhalt zu tun. es gibt auch abhängig vom inhaltsproblem, das sich durch die form ausdrückt, formale probleme. das gibt es auch im design. diese großen flächen, die brauchen eine lichtkante. es gibt schon auch formale probleme, die designer lösen können. das dinge einfach schön sind. meistens kann man es als fachmann auch begründen. 

sie kommen ja ursprünglich aus der architektur. inwiefern hat das ihre sicht und arbeitsweise als grafikdesigner geprägt? oder glauben sie, sie würden anders gestalten, wenn sie nicht architektur studiert hätten? 

ich habe gelernt räumlich zu denken, das ist sicher gut. und strukturelles arbeiten, das ist wichtig in der architektur. ich habe an der universität stuttgart eine sehr gute architekturausbildung genossen. bauökologie, also dieses ganze umfassende programm. stadtplanung. dass man einfach strukturiert denkt, das finde ich gut. ich denke, das hat mir sehr viel gebracht, auch das geordnete abwickeln eines auftrags. designer schlabbern da häufig rum. diese arbeitsweise der architekten habe ich schon ein wenig übernommen. architektur ist ja komplex und dieses komplexe denken, das finde ich gut, da ist vielleicht ein bisschen was hängen geblieben. wer weiß ... das kann ich nicht beurteilen, ob ich das heute anders machen würde. ich arbeite jetzt schon viel länger als grafikdesigner. wir machen ja nicht nur orientierungssysteme, sondern auch viele zweidimensionale dinge. hauptsächlich corporate design, da nützt mir mein architekturstudium wahrscheinlich nichts. 

welchen einfluss üben denn städte und der öffentliche raum durch ihre gestaltung auf uns aus? 

das bestimmt ja unser leben im stärksten sinne. wenn ich zum beispiel diese skater sehe, das finde ich toll wie die sich die stadt zurückerobern und mit ihren skateboards überall rumfahren, wo man es nicht darf. die begreifen ihre stadt, wenn sie da die hänge runter rasen. da muss man sagen die stadt ist eigentlich für die menschen und nicht für die autos. obwohl ich ein autofreak bin, bin ich da radikal und sage die stadt gehört den passanten, dass man flaniert und sich irgendwo hinsetzt. auf eine bank, in den park. man läuft von hier nach da, findet das schön und genießt das, das ist doch toll. die menschen fahren nach venedig, weil sie es schön finden oder fliegen nach new york, und finden das toll. es gibt ja ganz verschiedene stadtentwürfe, die wir alle schön finden. oder die natur. manche leute fühlen sich auf dem land wohl. das ist ja auch was gebautes, eine kulturlandschaft. die landschaft, die wir kennen, das ist alles kultiviert. 

also im grunde übt die landschaft oder die architektur noch einen größeren einfluss auf uns aus als der aschenbecher, den wir uns aussuchen? 

natürlich. deswegen haben architekten ja solche standings in der öffentlichen wahrnehmung. sie tragen eine höhere verantwortung für dieses ganze. ein haus steht mindestens 30 jahre. wenn ein poster schlecht ist, ist das ist nach zwei wochen weg, die broschüre wird eingestampft. die dinge, die wir machen halten nicht so lange. aber ein haus oder ein stadtplan, die art wie sie eine straße legen. das überdauert generationen. 

glauben sie denn das das grafikdesign, dass sie mit ihrem büro machen, bisher nachhaltig irgendwas beeinflusst hat? 

bei aller arroganz, die mir zu eigen ist, sage ich ja, da wir orientierungssysteme machen. ich treffe manchmal leute und die wenigsten verstehen ja, was grafikdesign ist. dann sage ich wir machen orientierungssysteme. die leute denken immer alle, das wäre etwas digitales und dann sage ich »nein, krankenhäuser, flughäfen, wie komm ich von a nach b, zum beispiel messe stuttgart.« »ah! ja, da war ich schon, ja das war toll, die bunten schilder, das ist mir aufgefallen, total schön.« dann freue ich mich. das ist nachhaltigkeit, das hat jemanden beeindruckt und der weiß es noch, obwohl er sonst bar jedes kulturellen interesses ist. corporate design auch, vor allem wenn man etwas für einen öffentlichkeitswirksamen kunden macht. das corporate design für die evangelische stiftung alsterdorf, finde ich wichtig. wir haben dafür den gold if bekommen, weil es sehr schwer ist, etwas für eine solche institution zu gestalten. und dann der deutsche bundestag. dieses staatliche wappen, das in der politischen legislative ganz oben steht. es sieht souverän aus, herrschaftlich, aber nicht arrogant. es steht oben, aber es schaut nicht von oben nach unten. ich bin stolz drauf, dass dieses zeichen von stefan raab kopiert wird. neulich habe ich jemanden aus der fh rauslaufen sehn, so einen typ mit einer jutetasche mit unserem adler drauf. das hat mir gefallen, dass dieses staatliche, hoheitliche symbol so genutzt wird. das hat sonst niemand, nur die amerikaner haben das mit ihren stars and stripes geschafft. das ist kulturgut. in deutschland war alles staatliche immer negativ und wir haben es mit diesem adler geschafft, das in die populärkultur zu transportieren, indem stefan raab es als hintergrund für seine politsendung kopiert oder dieser typ, der das zeichen auf seiner jutetasche herumträgt. das finde ich toll, da bin ich echt stolz drauf. ein staatliches zeichen, das die leute gerne benutzen und sich so mit dem staat identifizieren. das ist eine tolle sache, denn wir wissen gar nicht, wie gut es uns geht und wie dankbar wir sein müssen und können, dass wir in einer funktionierenden demokratie leben. das ist total wichtig, dass wir wirklich sehen was wir an staatlichen dingen haben. dass es uns saugut geht. doch, ich finde schon das wir damit etwas beeinflusst haben. 

danke schön.