»besuch bei andreas uebele«, design report 01/2004

juliane grützner, 2004 

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juliane grützner: verfolgen sie für ihre arbeit die entwicklungen in benachbarten gestaltungsbranchen? 

andreas uebele: auf jeden fall. wenn man nicht über den tellerrand hinausblickt, wird man impotent. ein grafikdesigner, der sich nicht für automobildesign, modedesign, musik, kunst et cetera interessiert, der kann, glaube ich, nicht ernsthaft arbeiten.  

was fasziniert sie denn beispielsweise am automobildesign? 

genauso wie im grafikdesign gibt es dort linienführungen und proportionen, die ich sehr spannend finde. bis auf die typografie, die ist übrigens hundselend. ich denke da an tachometer in nobelkarossen schwäbischer provenienz, die wie herkömmliche gaszähler aussehen. sie sind nicht nur unschön, sondern auch schlecht lesbar und damit nicht funktional. 

glauben sie, es werden dort andere schwerpunkte in der gestaltung gesetzt? 

ich glaube, dass wir in allem eine unkultur haben, was grafik und typografie betrifft. im gegensatz zu automobil-, mode- und auch produktdesign hat kommunikationsdesign nicht den stellenwert in der gesellschaft, den es haben müsste. es wird gar nicht bewusst wahrgenommen.  

in ihrer arbeit treten sie als vermittler von information zwischen empfänger und sender auf. was sind nach ihrer erfahrung die grundlegendsten missverständnisse? 

ich denke, dass man den leuten sehr wohl das vermitteln kann, was man will. das kostet natürlich manchmal überzeugungskraft und überwindung. verständigungsprobleme können auch auftreten, wenn kunden falsche wünsche haben. 

was sind »falsche wünsche«? 

sie wünschen sich etwas großartiges, etwas unbescheidenes, etwas unangemessenes, zum beispiel etwas ganz repräsentatives, etwas lautes. dann muss man sie darauf aufmerksam machen, dass es in ihrem speziellen fall unpassend wäre.  

und wenn sie darauf bestehen? 

dann müssen sie andernorts ihren wunsch realisieren lassen. wir verstehen uns nicht als erfüllungsgehilfen, sondern als gestalter und berater.  

haben sie denn schon mal kunden weggeschickt? 

man merkt eigentlich schon nach wenigen minuten, ob die chemie zwischen auftraggeber und gestalter stimmt. ist das nicht der fall, verabschieden wir uns recht schnell.  

wie können sie sicher sein, dass die information, die sie über ihre gestaltung vermitteln, auch richtig verstanden wird? 

alles, was man macht, ein buch, ein erscheinungsbild oder ein orientierungssystem, muss immer verständlich sein. das kann ästhetisch überhöht oder übersetzt sein, aber muss immer verständlich sein. eine schöne, gute arbeit bleibt immer verständlich. 

und wie funktioniert die kommunikation im internationalen kontext, denkt man etwa an sportveranstaltungen, flughäfen, bahnhöfe et cetera? 

im internationalen kontext haben wir verschiedene welten, die sich ganz stark mischen. für die neue landesmesse in stuttgart haben wir zum beispiel ein leitsystem entwickelt, das unter anderem auf farbigen informationstafeln aufbaut. bei der präsentation des projektes wurden wir von den auftraggebern gefragt, ob es nicht sinnvoller wäre, die eine oder andere farbe wegzulassen, weil sie in einigen kulturen eine besondere bedeutung habe.  

wie haben sie ihren entwurf verteidigt? 

ich habe gesagt, dass man, berücksichtige man diese überlegungen, keine farben mehr auf internationaler ebene einsetzen könnte. ich denke, wenn jemand aus unserem kulturkreis zum beispiel nach indien reist und dort etwas schwarzes entdeckt (bei uns symbol für trauer), dann ist ihm doch bewusst, dass er sich in einem anderen land befindet, in dem es andere sitten und bräuche gibt. jedes phänomen hat seinen eigenen kontext.  

und was die sprachliche ebene betrifft? 

auf einer messe oder auf dem flughafen kommen natürlich verschiedene kulturen zusammen. da setzt man für die kommunikation piktogramme ein, das ist eine international verständliche sprache. dazu kommt schrift auf deutsch und englisch. das ist alles. so schwierig ist das gar nicht. selbst das, was aus einer anderen welt kommt, kann man übertragen, wenn die übersetzung gut gemacht ist.  

man stellt sich doch aber eher vor, dass für jede kultur, die auf einer messe präsent ist, wahrnehmungstests durchgeführt würden, um sicherzugehen, dass die entwickelten symbole auch richtig verstanden werden? 

das machen wir gar nicht. vielleicht ist das jetzt eine enttäuschende antwort. ich verlasse mich da eher auf mein eigenes urteilsvermögen, das entscheidet, ob ein system lesbar ist oder nicht. das gilt für den funktionalen, technischen als auch für den ästhetischen aspekt. ich kann den forschungsergebnissen auf dem gebiet der wahrnehmung nichts abgewinnen und handle auch nicht danach. 

können sie ein beispiel nennen? 

es hat mal jemand erforscht, dass die optimale gebäude-beschriftung in einer augenhöhe von 1,63 metern anzubringen ist, was nicht stimmt, da es viel zu hoch ist: der blick der meisten menschen fällt eher in einen niedrigeren bereich. also bringen wir unsere türschilder in einer höhe von 1,40 metern an. das meine ich mit urteilsvermögen.  

die beste methode besteht also darin, alles zu hinterfragen, zu überprüfen und neu zu definieren? 

für mich ist das die einzig brauchbare herangehensweise. 

bereits in den 70er jahren beklagte otl aicher eine inflation von bildsymbolen und plädierte für eine standardisierung. stimmen sie dieser forderung zu? 

ich halte nichts von standardisierungen – und finde standardisierungen klasse. otl aicher hat die piktogramme für die olympischen spiele 1972 gemacht und es sind die einzig vernünftigen, die es weltweit gibt. wir benutzen sie auch liebend gerne. man kann sie nicht verbessern, auch wenn sich kollegen immer wieder daran versuchen. in diesem fall finde ich standardisierung gut. otl aicher hat die piktogramme einmal durchgehend für alle bereiche gestaltet und damit ist dieses thema für mich erledigt. 

trotz sprachengewirr im heutigen kommunikationsdesign tragen sie mit ihren arbeiten erfolgreich zur verständigung bei … und das als gebürtiger schwabe, dem man ja bekanntlich alles zutraut außer überregionale sprachliche kompetenzen. wie viele sprachen sprechen sie? 

wir sprechen viele sprachen. das kommt zum beispiel in einem orientierungssystem zum tragen, das wir für den energieerzeuger eon entwickeln. da lassen wir in der hauptverwaltung in münchen verschiedene ströme durch diverse gebäudeebenen fließen, also wie den rhein und die donau, aber zeigen das nicht explizit, sondern schreiben einfach die orte hin, an denen die ströme vorbeifließen. also koblenz, köln, düsseldorf und so weiter. dazu kommt poesie von dichtern aus der region. wir nehmen auch die sprachräume auf, die die ströme durchlaufen, und das sind viele, denkt man etwa an die donau, die bis in den ural, nach weißrussland fließt. insgesamt beschriften wir in 13 sprachen, die auch zu den ländern gehören, in denen eon strom produziert.  

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beeinflusst durch die neuen medien nehmen sprache und kommunikation zunehmend kryptische formen an, denkt man etwa an e-mails und sms-botschaften. kommt diese entwicklung der grafischen gestaltung entgegen? 

alles was neu ist an technologie, birgt einerseits chancen für den fortschritt und andererseits die gefahr des missbrauchs in sich. ich begrüße technische entwicklungen im grafikdesign.  

wie gehen sie in der praxis vor. denken wir zum beispiel an das orientierungssystem für den gelatineherstellers stoess. was sind die ersten überlegungen? 

im fall von stoess war es so, dass mir der architekt einen vorschlag des bauherrn übermittelt hatte, da er sich selbst nicht traute mir davon zu erzählen, denn er wollte mich in keiner weise in meiner gestaltung beeinflussen. er hatte daran gedacht, türschilder aus gelatine herzustellen.  

und wie haben sie diesen vorschlag aufgenommen? 

ich fand ihn toll und habe ihn in die überlegungen miteinbezogen. wir haben dann tatsächlich versucht, gelatine-türschilder aus verschiedenen schichten acrylglas herzustellen, mussten dann aber feststellen, dass sie sich nicht realisieren ließen. aber die idee haben wir aufgenommen und weiterentwickelt.  

zu welchem zeitpunkt fällt in ihren projekten die entscheidung über den einsatz von schrift- und bildzeichen? 

ganz früh. wir wählen ein paar schriften aus und überprüfen dann, ob sie in die architektur passen.  

wann wird über den einsatz von farbe nachgedacht? 

das entwickelt sich ganz unterschiedlich. das kann ganz zu anfang eines projektes sein oder erst am ende. bei stoess zum beispiel sind wir erst spät zu einer entscheidung gekommen, und zwar über die architektur, die unfarbig ist. da gab es nur materialfarben … und einen farbigen stein im foyer: ein roter muschelkalk. so nahmen wir diese farbe als grundton auf und entwickelten daraus die töne rosa, orange, hellorange und dunkelorange. 

arbeiten sie in ihren projekten mehr mit schrift- oder mit bildzeichen? 

ich arbeite möglichst wenig mit bildzeichen.  

können bildzeichen mehr bedeutungsvarianten zulassen und dadurch missverständlich werden? 

es handelt sich hierbei um ein sprachproblem. die schriftzeichen bilden eine sprache, die in einem gebäude schon vertraut ist. jetzt kommen noch bildzeichen dazu. diese stellen dann eine weitere sprache dar, die gelernt werden muss. das ist einfach zu viel und nicht unbedingt nötig.  

denken sie beim einsatz von typografie auch an analphabeten, die sich nur schwer mit hilfe von schriftzeichen im raum orientieren können? immerhin gibt es davon vier millionen in deutschland. 

ein orientierungssystem kann nicht alles leisten, das muss man ganz klar sagen. es kann nicht alle bedienen. im öffentlichen raum werden diese menschen leider nicht berücksichtigt. entwickelt man aber ein orientierungssystem für ein rathaus oder ein bürgerbüro, dann muss man für alle etwas machen. dort wäre es realistisch und der auftraggeber würde es auch bezahlen. 

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wie oder wo inspirieren sie sich? 

bei der arbeit. am besten man arbeitet an mehreren projekten gleichzeitig, da kann man viel ausprobieren und weiterentwickeln. die arbeiten befruchten sich dann gegenseitig.  

einige kollegen in ihrer branche bestehen bei der entwicklung ihrer projekte auf »full artist‘s control«. der auftraggeber darf während des entstehungsprozesses nicht in das projekt eingreifen. wie beurteilen sie so eine einstellung? 

schon der bergriff »full artist‘s control« ist so albern und lächerlich. ich glaube nicht, dass man das braucht. das ist eine angst, das ist zwangsneurose. wer soll mir was wegnehmen? wenn der auftraggeber den entwurf nicht will, dann will er ihn eben nicht. da bin ich ganz entspannt. man kann doch über alles sprechen und gemeinsam eine idee entwickeln und dann wird ein neuer entwurf gemacht. ganz einfach.  

für welches öffentliche gebäude oder welche institution würden sie gerne einmal ein orientierungssystem entwickeln? 

da gibt es schon ein paar themen, die ich gerne ausarbeiten möchte, aber zu denen ich nicht komme. die halte ich dann für diplomarbeiten bereit. zum beispiel die verkehrsschilder in deutschland. ich fände es gut, wenn man die mal alle neu gestalten würde. 

haben sie solche vorschläge schon mal an entsprechender stelle vorgetragen? 

nein. und das lasse ich auch besser bleiben. denn da kämpft man gegen bürokratische windmühlen. da gibt es keine gesetzeslage. jedes bundesland hat seine eigene hoheit.  

gibt es sonst noch projekte, die ihnen am herzen liegen? 

schön wäre auch, der polizei in deutschland ein neues erscheinungsbild zu geben. 

haben sie die diskussionen um colanis entwürfe für die hamburger polizeiuniformen verfolgt? 

ja. das ist natürlich am falschen ende angepackt. das ist kein kommunikationsdesign, sondern sponsoring von tom tailor. ich meine ein viel komplexeres thema mit schrift, erscheinungsbild, fahrzeugbeschriftung und uniformen. 

gibt es projekte auf internationaler ebene, die sie interessieren? 

internationale veranstaltungen interessieren mich natürlich. da schwebt jetzt dieses beispiel von otl aicher und den olympischen spielen wie ein damoklesschwert im raum und senkt sich langsam auf mein kahles haupt und ich beginne zu stottern… 

sind sie zu bescheiden? 

das hat nichts mit bescheidenheit zu tun, sondern mit dem wissen, dass die zeit vorbei ist, in der man so etwas machen kann. es gibt diese auftraggeber nicht mehr. damals waren es willy daume und sein team. das waren rechtschaffene, integre leute. diese leute sitzen heute nicht mehr an diesen stellen. das muss man ganz deutlich sagen.  

was ist heute anders? 

heute gibt es leute in der industrie und auf politischer entscheidungsebene, die karriere machen und kein risiko eingehen wollen. wenn es dann um ein erscheinungsbild geht, wenden sie sich lieber an große agenturen, um auf der sicheren seite zu sein. die verwalten den kunden, aber gestalten nicht.  

betrachtet man die vielzahl ihrer auszeichnungen, fragt man sich, was möchten sie sonst noch erreichen? 

den nobelpreis für kommunikationsdesign … (lacht). nein, jetzt mal ehrlich: natürlich träumt man von ein paar namhaften auftraggebern. andererseits möchte ich als kommunikationsdesignbüro nicht sehr viel größer werden, denn dann verwaltet man nur noch. so wie es jetzt ist, bin ich noch in alle projekte mit eingebunden und sehr zufrieden.