robin woern, 2021
kleine störungen machen die kommunikation menschlich: im gespräch mit andreas uebele
interview im rahmen einer bachelor thesis im fach kommunikationsdesign an der hochschule für gestaltung schwäbisch gmünd
robin woern, 2021
robin woern: im klassischen kommunikationsmodell steht die kommunikation zwischen senden und empfangen im vordergrund. die störung ist hier ein fehler, den es zu vermeiden gilt. welche chancen können fehler oder störungen in der kommunikationsgestaltung haben, wenn sie als stil- und kommunikationsmittel eingesetzt werden?
andreas uebele: fehlerfreie kommunikation ist eindeutig und manchmal muss sie genau das sein: die ampel ist rot, also stopp. keinerlei interpretationsspielraum zu lassen ist aber oft unhöflich und unelegant. das verschleiern einer absicht kann dagegen hilfreich sein, eine botschaft so zu transportieren, dass sie auch angenommen wird, denn unschärfe ermöglicht spielraum. im kommunikationsdesign sind wir die übersetzer der wünsche unserer auftraggeber. wir verpacken sie schön und angemessen und formulieren klar und deutlich, wo es angeraten ist. an anderer stelle formulieren wir weicher, sprechen vielleicht etwas vernuschelt, singen im dialekt oder überzeugen mit humor. denn kleine störungen macht kommunikation menschlich und nahbar.
im 20. jahrhundert dominierten verfahren wie der bleisatz den kreativen schaffensprozess. offset, fotosatz, fotokopierer und schließlich die digitalisierung änderten wiederum die gegebenheiten. welchen sichtbaren einfluss darf das werkzeug oder die produktion auf das zu gestaltende produkt haben?
die technik und ihre grenzen beeinflussen maßgeblich die gestaltung, das holperige ist immer schön. das handwerkliche ausreizen der jeweiligen technischen möglichkeit erzeugt seine eigene ästhetik. man kann sich an einem guten alten holzschnitt genau so erfreuen wie an einem guten, computeranimierten film.
ihr büro ist bekannt für orientierungssysteme und signaletik. welchen bezug haben sie in diesem bereich zu visuellen störungen?
ah, genau! da ist dieser komische ramschladen, davor der kaputte kanaldeckel und danach kommt der biobäcker! – störungen sind zwingend notwendig für die orientierung. glatte, langweilige, sauber aufgelistete information ist wie ein gerader weg ohne anstieg, senke, lichtung oder perspektivwechel. sie flutscht durch, nichts bleibt hängen. interessant und auffällig gestaltete orientierungssysteme (oh, diese krasse schrift! dieses extreme format! diese grellen farben!) funktionieren besser weil sie reibung bieten. sie sind wie der gezackte felskamm und der kleine anstieg vor der abzweigung.
einige menschen vermissen die »analogen zeiten«. klassische medien wie die schallplatte oder analoge fotografie liegen im trend. selbst der digitalen musik wird teilweise ein rauschen hinzugemischt, um sie dadurch analog klingen zu lassen. bilder werden aufgerastert, um den anschein eines gedruckten mediums zu reproduzieren. dabei sind das eigentlich störungen, die beim produktionsprozess entstehen. können sie verstehen, wieso es diese sehnsucht gibt?
sich einer neuzeitlichen technik prinzipiell zu verschließen ist dumm. mit bleisatz zu drucken, obwohl es offsett-druck gibt, ist falsch. das beimischen des knister-knister-nadel-in-rille-mit-staub-rauschens in der musik ist ein stilmittel, das täuscht. dass eine schallplatte auf einer guten anlage gut klingt: richtig. aber das knistern in den flachen mp3-sound einzumischen: falsch. ich verstehe die sehnsucht nach dem verwackelten, ungleichen und reliefartigen bleisatzdruckbild nicht weil wir heute etwas viel besseres herstellen können: das technisch glatte und perfekte druckbild des offsetdrucks. es gibt schrift in einer nie dagewesenen präzision und schönheit wieder, eine typografische sensation. warum sollte man zu etwas schlechterem zurück? nostalgie und die beschwörung des vergangenen scheint eine hilflosigkeit zu sein, denn mit den digitalen mitteln, die uns heute zur verfügung stehen, lassen sich ebenso schöne sensorische erlebnisse schaffen wie mit analogen. im übrigen kann man ja analoge und digitale werkzeuge zur gleichen zeit benutzen, ein weiterer vorteil unserer zeit.